Haristos Girinis über die sich ändernde Rolle der Zahntechnik

Haristos Girinis ist Zahntechniker aus Leidenschaft. In seinem Labor in Nagold fertigt er hochwertigen individuellen Zahnersatz – diszipliniert und nahezu kompromisslos. Im Jahr 2015 haben wir in einem emotionalen Interview über Zahntechnik, Wertigkeit, Wünsche und Visionen gesprochen. Vier Jahre später haben die beiden erneut diese Thematiken aufgegriffen. Erschienen ist das Interview in der Quintessenz Zahntechnik 3/2020.

Wie viel DIGITALISIERUNG braucht die Zahntechnik?

… so wenig wie möglich und so viel wie nötig. Wie viel nötig ist, entscheidet jeder Zahntechniker für sich. Für mich sind digitale Technologien lediglich weitere Werkzeuge im zahntechnischen Repertoire.

„Ich mache mir die Digitalisierung zunutze und lasse mich nicht von der Digitalisierung benutzen.“
ZTM Girinis

Die Entscheidung, wie viel Digitalisierung jedes Labor für nötig erachtet, basiert auf vielen Aspekten, z. B. wirtschaftlichen und qualitativen Faktoren. Spezialisiert man sich darauf, wirtschaftlich-effizient eine breite Masse an Zahnersatz abzudecken, sind automatisierte Fertigungsmethoden eine wichtige Basis. Digitale Prozesse können Sicherheit in der Prozesskette bieten. Zahntechnik ist doch viel mehr als „nur“ die reine Fertigung. Unsere Arbeit ist komplex und kann in vielen Bereichen nicht durch Daten und Algorithmen ersetzt werden. Es ist konzeptionelles Denken gefragt und dies basiert auf dem Grundlagenwissen von Funktion, Phonetik, Statik, Ästhetik etc. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Bereich der Einzelanfertigung arbeiten. Jeder Fall ist anders und stellt uns vor andere Herausforderungen. In meinem Alltag als (spezialisierter) Zahntechniker brauche ich trotz digitaler Techniken vorwiegend meine analoge Kompetenz, denn ich muss nach wie vor einen Konstruktionsvorschlag (analog) erstellen und – z. B. im zahnlosen Kiefer – in einen „leeren Raum“ den funktionellen (einschließlich phonetisch) ästhetischen Zahnersatz integrieren. Zudem arbeite ich in vielen Bereichen manuell viel schneller und effizienter, als mit digitalen Technologien. Natürlich nutze ich moderne Techniken, denn sie bieten in manchen Arbeitsschritten mehr Prozesssicherheit und ermöglichen Materialvielfalt. Doch ich wäge genau ab, wann die Digitalisierung echte Vorteile bringt. Maßstab ist hier der qualitative Anspruch! Qualität in der Funktion, Qualität in der Ästhetik, Qualität in der Kommunikation. Qualität hat viele Gesichter und ist auch eine subjektive Wahrnehmung; doch wenn wir ehrlich sind, ist doch Qualität eindeutig definierbar.

„Abgerechnet wird zum Schluss und es entscheidet die Qualität des Produktes (Zahnersatz).“
ZTM Girinis

Wie viel PATIENT braucht die Zahntechnik?

Bei uns dreht sich alles um den Menschen! Es geht nicht um das Modell oder die CAD-Datei, sondern um den Patienten. Natürlich kann der Zahntechniker theoretisch eine Konstruktion ohne Patientenkontakt erstellen. Digitale Fotos, virtuelle Einproben ect. … – die Digitalisierung bietet viele Optionen. Praktisch jedoch kann eine Software die dynamischen, ästhetischen und multifunktionellen Faktoren nicht annähernd widerspiegeln. Wie wirkt der Zahnersatz im Mund und wie fühlt er sich für den Patient an?! Den Konstruktionsvorschlag kann ich als Zahntechniker nur direkt im oralen Umfeld beurteilen. Parameter sind u. a. Farbe, Größe, Breite, Lachen, Sprechen, Lippendynamik, Lautbildung…. Erst wenn diese individuellen Aspekte ermittelt sind, können digitale Technologien zum Einsatz; wenn sie dienlich sind. Der Computer errechnet – ausgehend vom Konstruktionsvorschlag und den entsprechenden Designkriterien – das Gerüst; dies macht die Software sehr viel besser und schneller als ich. Zunächst jedoch ist der Patientenkontakt für den Zahntechniker in den meisten Situationen wichtig.

Wie viel SICHTBARKEIT braucht die Zahntechnik?

Es ist ja nach wie vor so, dass der Patient die Zahnarztpraxis konsultiert, wenn er einen Zahnersatz benötigt. Oftmals wissen Patienten gar nicht, dass es da noch einen Zahntechniker gibt. Das ist immer noch dasgroße Problem unserer Branche; wir brauchen viel mehr Präsenz in der Gesellschaft. Viele Patienten wissen nicht einmal, dass sie freie Laborwahl haben. „Da müssen wir erstmal das Labor fragen“… Wie oft hören Patienten diesen distanzierten Satz vonseiten der Zahnarztpraxis. Warum diese Distanz? Wir arbeiten als Partner zusammen an einem „Projekt“ und sollten dem Patienten dementsprechend als Team gegenübertreten.

Wie viel VISIONEN braucht die Zahntechnik?

Da gibt es verschiedene Blickwinkel. Eine Vision der zahntechnischen Zukunft wird uns häufig vonseiten der Industrie „gemalt“. Für meine Vision möchte ich historisch zurückblicken. Betrachten wir unsere Generation und die Persönlichkeiten, von denen wir Zahntechnik gelernt haben.

„Wir sind groß geworden mit Leuten wie Prof. Gutowksi, Rainer Semsch, Willi Geller, Klaus Müterthies, Jan Langner und viele weitere – diese Menschen haben – (meine) moderne Zahntechnik geprägt.“

 

Ich bin unendlich dankbar dafür, der Generation anzugehören, die von diesen Altmeistern das HANDWERK der Zahntechnik lernen durfte. Natürlich gehört die Digitalisierung zur Entwicklung/Evolution dazu, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das analoge Wissen und das Verständnis für das Ganze durchs Digitale verloren gehen. Aber was wird aus den Menschen – den Zahntechnikern? Sie verlieren Kompetenz. Dies wird nicht zuletzt nachhaltig Auswirkung auch auf die Qualität von Zahnersatz haben. Wir brauchendas analoge Wissen, um digital gut arbeiten zu können. Die Digitalisierung darf nicht unsere Arbeit ersetzen, sondern soll Prozesse verbessern, bzw. ergänzen. […]

Annett Kieschnick, Berlin

Das vollständige Interview ist im Journal Quintessenz Zahntechnik 3/2020 erschienen.