Vom rasenden Stillstand

Die IDS 2017 aus den Augen der Zahntechnik

„Praxisorientiert und digitaler denn je!“ Das war die IDS 2017 nüchtern zusammengefasst. Aber ein Blog-Artikel lebt von Emotionen und Lebendigkeit, also los.

Chairside first! Kommunikations-Fauxpas! Rasender Stillstand! Das sind bleibende Eindrücke nach Verklingen der lauten Werbetrommeln und nach Verhallen des Stimmengewirrs in den Messehallen. Schnell, digital, fast schon ferngesteuert verflogen fünf Messetage. Selbst bei Pressekonferenzen schienen einige Firmen am Wettbewerb „digital, digitaler, am digitalsten“ teilzunehmen. Die Fachpresse wurde mit Animationen und hochprofessionellen Imagefilmen wie aus einem Hollywood-Studio überrascht. Andere Firmen präsentierten ihre Produkte mit authentischen Auftritten à la Filmstudio Babelsberg.

Die Kraft von Chairside und ihr „Shitstorm“

Und in den Messehallen jenseits der Pressekonferenzen? Hier fand wieder die größte IDS aller Zeiten statt. Mehr als 155.000 Besucher erlebten, wie die Zahnmedizin 4.0 aussehen wird. Digital und virtuell. Während viele Zahnärzte zwischen Begeisterung und Überforderung schwankten, löste so manche Produktpräsentationen bei Zahntechnikern beklemmende Gefühle aus. Die IDS 2017 war praxisorientierter denn je. Es wurden smarte kleine CAD/CAM-Geräte sowie Brennöfen für die Zahnarztpraxis und interessante Material-Rohlinge vorgestellt. Und auch die Kommunikationsstrategien mancher Firmen zeigten eine klare Tendenz: Die Fertigung von Zahnersatz wird mehr und mehr in die Praxen verlagert. Diese Tatsache wurde von manchem Unternehmen etwas „missgeschicklich“ ausgedrückt. Aber gut, dies führte zu einem unterhaltsamen Rahmenprogramm bei Facebook. Und – dies verhallt auch nicht sofort nach der IDS, sondern sorgt weiterhin für Zündstoff.

Mal wieder eine IDS der Superlative
Volle Messehallen

Wohin des Weges?

Chairside: Man kann davon halten, was man will, dieser Tatsache kann sich kaum einer entziehen. Unter den Zahntechnikern sind gespaltene Meinungen zu vernehmen. Fakt ist, die Zusammenarbeit zwischen Labor und Praxis wird sich enorm verändern. Um die Zahntechnik weiterhin mit Leben zu füllen, sind Kompetenz und Knowhow gefragt. Zahntechniker müssen sich mit Tatsachen abfinden und Strategien wählen, die ihre Daseinsberechtigung „fett“ unterstreichen. Denn Zahntechnik ist weitaus mehr als die Fertigung von Kronen oder Inlays – und seien wir ehrlich, dieser Markt ist schon lange eingebrochen. Zahntechnik ist komplex! Feine Ästhetik und die hohe Schule der Funktion, patientenorientiert, umfangreiche Restaurationen, Dienstleistungen, Persönlichkeit, Empathie, Individualität, Unterstützung hinsichtlich Planung, Materialwahl und Kommunikation sowie Vernetzung der digitalen Abläufe. Die Puzzleteile einer prothetischen Behandlung werden neu sortiert. Im Ergebnis wird sich ein verändertes zahntechnisches Berufsbild zeigen. Während neue Chancen und Perspektiven wachsen, verblassen klassische Abläufe.

Und wie geht’s Montag weiter?

Im CAD/CAM-Bereich war eine Konsolidierung bekannter Technologien zu verzeichnen. Hardware und Software begeistern mit neuen Tools und anwenderfreundlichen Abläufen. Prozesse sind optimiert. Überhaupt war das Wort „prozessoptimiert“ das Schlagwort auf vielen Messeständen.

Tauchen wir aus dem Mikrokosmos IDS auf und lassen die Werbetrommeln hinter uns, stellt sich die Frage: Was bedeutet prozessoptimiert für Dentallabore? Schnell bleibt man beim Thema „Materialien“ hängen. Es ist erstaunlich, wie Produktentwickler immer wieder neue Werkstoffe auf den Markt bringen und die Qualität der prothetischen Restauration weiter steigt – sofern die Fertigungskompetenz mithalten kann: Zirkonoxid, Transulzenzen im Superlativ-Bereich, polychromatische Hybridkeramik, neue PMMA-Rohlinge…

Aber auch die manuelle Fertigung steht bei einigen Unternehmen nach wie vor hoch im Kurs: Neue Verblendkomposite, intelligente Verblendkeramik-Systeme, gipsfarbene, flexible Zahnfleischmaske… Zwischen Virtual Reality, digitaler Transformation und CAD/CAM-Geräten waren einige feine Neuheiten für die ganz normale Zahntechnik zu entdecken; denn diese findet ab Montag wieder in den meisten Laboren statt.

Die langfristige Entwicklung ist gezeichnet. Noch bleibt Zeit, sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Vielleicht sollte die IDS 2017 als Symbol gesehen werden, jetzt mit alten Strukturen zu brechen und sich neuen Richtungen zu öffnen. Fühlt sich die Schnelligkeit des Fortschritts wie eine aggressive Ohnmacht an, tut ein Schritt in Richtung Entschleunigung gut. Abstand finden vom „Rasenden Stillstand“. Überhitzte Emotionen blockieren das lösungsorientierte Denken.

Von Rollkoffern, Meerjungfrauen und Römern

Ewige Stolperfalle „Rollkoffer“, Nikotinwolke über der Piazza, halbnackte Römer in der Messehalle 4.1 und badende Meerjungfrauen – auch das sind bleibende Erinnerungen der IDS 2017. Aber am liebsten denke ich an die vielen bekannten Gesichter zurück. Die IDS ist ein großes Treffen von Freunden und Kollegen. Nicht digital und in rasender Hektik, sondern ganz persönlich mit Zeit für Gespräche und gemeinsamen Lachen.

Ein ausführlicher Nachbericht von mir über interessante Material-Neuheiten ist demnächst im Internationalen Zahntechnik-Magazin (Spitta Verlag) zu lesen.

Annett Kieschnick, Fachjournalistin